"Ein idealer Mann" bei den Olympischen Spielen
Manchmal werden die brennenden, großen Ideale unversehens auf ganz kleine Flamme heruntergekocht. Das zeigt die Kasseler Inszenierung von Oscar Wildes Salonkomödie „Ein idealer Mann“, die hier bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit angesiedelt ist, 1896 in Athen, wo die Society vor allem sich selbst feiert für ihre Visionen von einer vereinten Menschheit. Doch in der Schale, in der eigentlich das Olympische Feuer lodern sollte, werden jetzt die Souvlaki-Spießchen fürs Partybuffet gegrillt.
Ein wunderbares Bild für die Fallhöhe zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die sich als eins der zentralen Themen durch den Theaterabend zieht.Im ausverkauften Schauspielhaus ist die Premiere am Samstagabend mit freundlichem Applaus über die Bühne gegangen. Regisseur Sarantos Zervoulakos zelebriert darin die Eleganz, die immense Pointendichte und den brillanten Sprachwitz Wildes. Das macht viel Freude. Aber: Er belässt das Stück, das selbst die Oberflächlichkeit seiner Protagonisten und ihre Fixierung auf das eigene Image thematisiert, komplett an der Oberfläche. (...) Hagen Bähr spielt die Erpresserin, Mrs. Cheveley, und dass er optisch nur mit blauen Riemchenpumps und Lippenstift als Frau eingeführt wird, ansonsten aber zur nackten Brust einen schwarzen Slim-Fit-Dreiteiler trägt, bringt eine subtile erotische Note ins gesellschaftliche Geschlechter-Geläster. Die ganzen Bonmots über Männer und Frauen, die die Society frech parlierend raushaut, werden durch dieses verführerische, geschlechtlich uneindeutige Wesen prächtig unterwandert.Die Szenerie ist auf einem roten Teppich angesiedelt, das Leben eine Show-Treppe (Bühne: Christian Kiehl). Die opulenten Fin-de-Siècle-Kostüme von Su Bühler haben hübsche ironisierende Elemente (...) Die Setzung, den Stoff in Athen und im Sport-Kontext spielen zu lassen, löst sich gut ein. Besonders hervorzuheben ist das lustige Video von David Worm, mit dem der Abend beginnt. Im Stummfilm-Stil der frühen Lichtspielkunst wird mit witzigen Texttafeln und historischen Aufnahmen die nordeuropäische Griechenlandsehnsucht aufgespießt. Das reicht von den großen Ideen der documenta 14 bis zum eingeschweißten Feta-Käse aus dem Supermarkt.
Hessische Niedersäschsiche Allgemeine, Bettina Fraschke, 20.11.2017